30 Mai, 2011

Bio-Dye-Versity

Von Enrico und Benjamin lasse ich mir gerne die Welt erklären! Ein Exkursionsbericht von Lebenskleidung zur internationalen Konferenz für Pflanzenfärbung ISEND im April 2011 in La Rochelle/ Frankreich.

Eindrücke und Blitzgedanken:

Frankreich war im April der Mittelpunkt der weltweiten Pflanzenfärberszene. Die ISEND 2011 (INTERNATIONAL SYMPOSIUM AND EXHIBITION ON NATURAL DYES) mit über 500 Menschen aus 58 Nationen fand in La Rochelle/Frankreich statt. Eine Konferenz, die sich ausschließlich dem Thema Pflanzenfärbung widmet. Wahnsinn. Seit Tausenden von Jahren färben Menschen ihre Kleidung mit Pflanzen und hier gibt es zu sehen, was heute in allen Kulturkreisen der Erde davon noch übrig ist. Was man da zu sehen bekam war eine beeindruckende Vielfalt an Pflanzenfärbeprojekten, Vorträgen, Workshops und Filmen.

Neben der Reichhaltigkeit und Fülle des Programms der Konferenz, hat mich vor allem die Vielfalt der von den Teilnehmern persönlich getragenen Kleidungsstücke begeistert. Die Farben, die Formen und die verwendeten Stoffe (z.B. Ananasfaser kombiniert mit Seide aus Malaysia) waren unglaublich schön und interessant. Und mir ist schlagartig klar geworden wie global uniform und konform wir uns doch mittlerweile alle kleiden! Mein erster Gedanke: Ein bisschen Stil- und Farbdiversität würde uns eigentlich ganz gut zu Gesicht stehen, oder wie ein Teilnehmer aus Malaysia so schön in seinem Vortrag formulierte: „Variety is the Spice of Life!“ Recht hat er!

Mein zweiter Gedanke: Peak Oil! Ach was, eigentlich sind wir schon mitten von Peak Soil, Peak Climate, Peak Water, kurzum einem Peak Everything! Sollte nicht der Trend zu mehr Regionalität, Diversität und Nachhaltigkeit, der auf dem Lebensmittelsektor bereits in Ansätzen zu sehen ist, auch bei der Herstellung und Färbung von Kleidung ein richtiger und wichtiger Ansatz sein?  Ich denke, hier lohnt es sich, ernsthaft drüber zu diskutieren!

Um mich nicht misszuverstehen, ich möchte nicht das wir wieder alle in germanischen Trachten in drei Farben rumlaufen, aber eine Kombination aus Tradition und Moderne aus altem Wissen und neuem Wissen und somit eine Widerspiegelung unserer Kultur und Identität würde ich schon ganz spannend finden!

Aufgefallen I:

Es waren bei aller Vielfalt der Präsentationen vor allen auffällig, dass die meisten Ansätze für die Pflanzenfärbung noch Projektcharakter hatten und/oder über die  Grundlagen oder Universitätsforschung (noch) nicht hinausgingen. Aber gerade die Forschung nach wissenschaftlichen Kriterien lässt hoffen, dass es einmal eine standartisierte und einheitliche Pflanzenfärbung geben könnte. Es wurden viele historische und sehr länderspezifische Färbepflanzen vorgestellt und Geschichten erzählt, die zwar allesamt sehr interessant aber manchmal doch sehr langatmig waren.

Dies zeigt natürlich auch, wie viel Grundlagenforschung noch nötig ist, um historisch verschüttetes Wissen wieder zu heben und es mit heutigen Standards zu vereinen und nutzbar zu machen.

Aufgefallen II:

Es wurde von fast allen Vortragenden der nachhaltige und ökologische Charakter der Pflanzenfärbung betont und angepriesen, dennoch habe ich bei den meisten das Bewusstsein für den Rohstoff auf dem sie färben oder drucken, ob nun Seide, Wolle oder Ananasfaser, vermisst. Wenn man es macht dann doch gleich richtig oder?

Aufgefallen III:

Ich konnte leider keinen Sprecher aus Deutschland im Programm finden und auch anteilig waren nur sehr wenige Menschen aus den sogenannten Industriestaaten vertreten. Zu einer  Verschwörungstheorie ob der guten Lobbyarbeit der chemischen Industrie oder des wohlwollenden Desinteresses durch die bequeme Externalisierung von Umweltverschmutzung in die sogenannten Entwicklungsländer lasse ich mir hier aber nicht ein!

Beinahe umgefallen:

Ein  „Highlight“ der Konferenz waren die Exkursionen ins Umland zu speziellen Färbepflanzenprojekten, wie z.B. zu den Bauern die Krapp anbauen und immer noch viel improvisieren und experimentieren müssen. Oder zu Instituten wie dem CRITT (Centre pour l’analyse du verre, des polymères et matériaux inorganiques) die zum Thema sehr gut forschen und sogar für das Luxuskonglomerat LVMH Kosmetik mit komplett pflanzliche Inhaltsstoffen entwickelt haben. Ich für meine Fall habe mich für die Purpurschneckenexkursion am Atlantik angemeldet! Aber irgendwie hatte ich mir die Farbgewinnung des Purpurtons und den Ausflug zur Ocenebra erinaceus etwas romantischer vorgestellt.

Gesehen haben ich ca. 25  Frauen die wild mit Steinen auf Schnecken einschlagen um ca. 1 Milliliter! Farbe aus ihnen herauszuquetschen. Ein Anblick, der mich leicht verstörte. Mir war schon aufgrund des Geruches schlecht und ich machte als einziger nicht mit! Außenseiter bei den Damen und  Spitzenreiter bei den Tierschützern! In der Zwischenzeit habe ich lieber Schmetterlinge fotografiert!

IV Fazit

Pflanzliche Färbung kann meiner Meinung nur Sinn machen, wenn:

a) sie nicht in Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau steht, sondern als Zwischenfrucht auf den bereits genutzten Ackern sinnvoll verwendet werden kann.

Best Case: Die Indigopflanze (Indigofera Tinctoria) mit dem Farbton Blau. Diese wird in den von Regenzeit abhängigen  Ländern, wie  z.B. Bangladesh und Indien als Intercropping (Zwischenfrucht) eingesetzt. Das heißt, dass man sich die Eigenschaft der Pflanze, Stickstoff  aus der Luft mittels eines Knöllchenbakteriums im Boden zu fixieren zu eigen macht. Der Boden wird für den nachfolgende Fruchtanbau natürlich gedüngt und gleichzeitig wird ein wertvoller und ökologischer Farbstoff gewonnen. Alles ohne Konkurrenz zueinander und ökologisch einwandfrei (natürlich nur wenn er auch pestizidfrei angebaut wird!) und in vielen Ländern der Erde umsetzbar!

b) man die Farbstoffe aus Abfallprodukten gewinnen kann, die sowieso anfallen

wie z.B.  bei der österreichischen Firma Colors of Nature, die Abfallprodukte aus der Holz- und  Lebensmittelindustrie verwenden!

c) die Rohstoffe aus kontrollierter Wildsammlung wie z.B. dem TRIFED (Ministry of Tribal Affairs) in Indien stammen und den Ureinwohner des Landes eine sichere und faire Einnahmequelle sichern! Hier muss natürlich drauf geachtet werden das die natürlichen Ressourcen und somit der Lebensraum der Tribals auch bei steigender Nachfrage gewährleistet wird (schwierig!).

d) die verschiedene Akteure aus den verschiedenen Projekten sollten ihr Wissen teilen und mit einer Stimme sprechen, d.h. eine Lobby bilden, wenn sie wirklich als eine Alternative zur chemischen Industrie wahrgenommen werden wollen! Mein Eindruck war vor allem bei unseren indischen Fellows, dass man die anderen konsequent erstmal konsequent madig macht und eine Zusammenarbeit oder Kooperation verweigert. Was für ein verschenktes Potential! So wird das nix! Da lacht sich die chemische Industrie ja kaputt!

e) es eine einheitliche Zertifizierung gibt, was denn genau Herbal Dying ist? Müssen die verwendeten Färbepflanzen organic oder zumindest aus kontrollierter Wildsammlung stammen? Welche chemischen Fixierer dürfen verwendet werden? Sollte die pflanzliche Färbung unter dem GOTS Siegel zertifiziert werden oder eher eine eigenständig Zertifizierung anstreben?

Diese für mich sehr wichtigen Fragen, wurden leider nur kurz und am letzten Tag  der Konferenz angesprochen! So blieben viele meiner Fragen unbeantwort und man kann nur hoffen das Fragestellungen bei der nächsten ISEND 2013 in Malaysia einen höhren Stellenwert bekommen!

Der Vorhang schließt sich, und alle (wichtigen) Fragen bleiben offen!

Trotzdem bleibt:

Beeindruckend waren die vielen weltweiten Projekte, die es zu sehen gab. Alle Kulturen der Erde haben großartige Möglichkeiten hervorgebracht, mit Pflanzenfarben Kleidung zu färben. Ich wünsche mir auch im Namen von Lebenskleidung eine lebendige Debatte über die Vor- und Nachteile von Pflanzenfarben in Bezug auf die Ökobilanz aber und vor allem auch in Bezug auf die Qualität pflanzlich gefärbter Kleidung. Der Ansatz die Menschen zusammenzubringen ist großartig und der Wissenstransfer zwischen den Akteuren der Szene sollte intensiviert werden. Schwierig natürlich oft auch aufgrund der Tatsache, dass viele Projekte kleine Projekte sind. Ein Traum wäre eine Datenbank ( diese wurde in einem Pilotprojekt bereits vorgestellt), über die sich die Pflanzenfärber weltweit austauschen können. Einheitliche Standards bezüglich der Farbechteheiten und der Gewinnung der Pflanzenfarbstoffe wären ein weiterer großer Schritt. Und wer weiß, vielleicht tragen wir Menschen in zehn Jahren tatsächlich einmal wahre globale Kleidungsstücke, die das beste alte Wissen aller Länder der Erde vereint. Ein wirklich Mut machender Gegenentwurf zum Trend der Konformität und Gleichmacherei in unseren Kleiderschränken. Also: Es gibt noch viel zu tun! Packen wir es an!

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

Hier finden Sie alle Artikel von .

Veröffentlicht in: News

3 Kommentare auf "Bio-Dye-Versity"

1 | Björn Hens

Mai 31st, 2011 at 13:40

Avatar

Danke! Auch für die Nicht-Teilnahme bei Schnecken-Steinigen. :)

2 | Anja Wakeham

Juni 1st, 2011 at 09:39

Avatar

Es hat Vor-und Nachteile , z.B. dass man pflanzengefärbte Stoffe vorsichtig waschen muss und nicht bei 60 Grad in die Waschmaschine schmeissen kann.
Dazu muss der Kunde eben bereit sein. Aber Prof. Braungart hat doch auch ungiftige Farben entwickelt und wie hat er so schön gesagt: “ Die Cradle-to-Cradle T-shirts sind das erste was überhaupt für Hautkontakt geeignet ist!“

3 | Elke Schröter

Juni 5th, 2011 at 19:24

Avatar

Ich stimme Enricos Gedanken und Erkenntnissen vollkommen zu. Ich möchte nur noch hinzufügen, was ich persönlich als Teilnehmerin der ISEND und Textilgestalterin als wichtiges Fazit für mich mit nach Hause genommen habe: Seitdem ich aus Frankreich zurückgekehrt bin, fällt mir immer stärker auf, wie unsensibel wir mit Farben umgehen. Wir umgeben uns häufig völlig achtlos mit synthetisch produzierten Farben, weil ja alles so billig zu haben ist. Früher mussten Maler stundenlang Mineralien zu Farben verreiben und Färber haben teilweise über Generationen hinweg Färberezepte entwickelt. Die Materialien waren alle kostbar und dementsprechend ehrfurchtsvoll wurde damit umgegangen. Für mich wäre es wünschenswert, wenn wieder so achtsam mit Farbe, egal ob synthetischer oder natürlicher Herkunft, umgegangen würde. Und achtsam heißt für mich auch, dass der Produktionsprozess weder Gift in die Umwelt schleudert noch Arbeiter ausbeutet. Ein gezielter und eher sparsamer Einsatz von Farben und Formen heißt für mich in Zukunft die Devise.

4 | Regine Tarmann-Stumpf - karlaA

Juni 7th, 2011 at 09:23

Avatar

Ich finde in diesem Beitrag von Enrico die Eindrücke vom Symposium auch sehr gut wiedergegeben. Ich möchte hier ein paar Gedanken äussern, die ich auch in meinem Blog geschrieben habe:

Ja, es wird sich auch nach meinem Gefühl in nächster Zeit sehr viel tun im Bereich der industriellen Färberei mit natürlichen Farbstoffen – diesen Eindruck habe ich von der ISEND mitgenommen. Einerseits freut mich das, andererseits macht mir die Industrialisierung der natürlichen Farbstoffe mit ihren Forderungen nach Standardisierung und Zertifizierung Gedanken. Ich hoffe, dass sich hier “die Katze nicht in den Schwanz beisst”. Die Industrialisierung der Farbstoffe hatten wir ja schon mal im 19. Jahrhundert mit all ihren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Ich verstehe natürlich das Bestreben der Industrie nach dieser Standardisierung. Ich weiss auch, dass es den Konsumenten leichter fällt zu einem Produkt zu greifen, wenn es mit einem Label zertifiert ist. Aber ich fände es schade, wenn wir dadurch bald wieder uniforme Massenprodukte haben und erst wieder synthetische Zusatzstoffe verwendet werden, um die Farben möglichst lichtecht, waschecht, reibecht, maschinenwaschbar, … zu machen. Jedenfalls wünsche ich mir – und ich sehe das auch als Chance -, dass mit der Wiederbelebung der natürlichen Farben noch mehr Umdenken in den Bereichen der Textilproduktion und – konsumation stattfindet. Auch hier – denke ich – wird der Konsument mit seinem Kaufverhalten die entscheidende Rolle spielen. Die Textil-Produzenten, im speziellen die Färbereien, versuchen zu sehr den eingelernten Vorstellungen und den vermeintlichen Kundenwünschen, wie eine Farbe zu sein hat, zu entsprechen. Dem Käufer muss bewusst sein, wenn er sich für ein natürlich gefärbtes Kleidungsstück entscheidet, dass es sich hier um einen NATÜRLICHEN Farbstoff handelt. Natürliche Farbstoffe sind lebendig und verändern sich. Das ist das schöne daran! Wenn der Konsument diesen Veränderungsprozess akzeptiert und genau das haben will, dann kann sich auch die Textilindustrie „entspannen“ und diese natürliche Veränderung zulassen und muss nicht versuchen, hier wieder einmal mit allen Mitteln gegen die Natur zu handeln.

5 | Ulrike

Juni 7th, 2011 at 09:26

Avatar

Ich kann Elke nur zustimmen (und deinen Beitrag auch nur unterschreiben). ISEND und nun auch das Lesen des Buches von Lucy Siegle (to die for) hat meinen Blick auf unsere bunte Welt deutlich verändert. Allgemein war mein Eindruck von ISEND durchaus positiv und ich sehe auch die dringende Notwendigkeit, dass gerade in den Entwicklungs- und Schwellenländern etwas geändert werden muss durchaus ein. Sie Bewohner dieser Länder leiden am meisten unter unserer Sucht nach schneller, bunter und vor allen Dingen billiger Mode. Da können Alternativen aus dem Naturfarbenbereich durchaus überlebenshelfend sein. Der ethische und ökologische Umgang mit Textilien und Farben war leider ja nur ein Randbereich, der von einigen Wenigen angesprochen wurde. Dabei sollten wir das unbedingt zur Hauptsache erklären. Denn bei uns fängt alles an. Wir produzieren zwar nicht, aber wir konsumieren wie gestört und zerstören damit. Und leider ist das auch eine Haltung, die sich in den textilen Hobbybereichen durchsetzt. Da löst eine Mode die nächste ab und auch bei manchen Naturfärberinnen setzt das Hirn aus, wenn es darum geht einen möglichst „seltenen“ oder „besonderen“ Farbstoff zu ergattern, wie du ja mit den Schnecken erleben durftest. (Ich hatte mir den Vormittag frei genommen und den Kopf ein bisschen zu klären, daher konnte ich das Schauspiel an mir vorübergehen lassen). Trotzdem fand ich die Arbeit von CRITT sehr spannend. Leider ist eben viel noch im Experimentierstadium. Besonders gut hat mir allerdings Anne de la Sayette’s Bemerkung über Naturfarben im Vergleich zu Wein gefallen. ‚Sehen wir Naturfarben einfach mit denselben Augen wie guten Wein. Da gibt es Jahrgänge und Unterschiede und ebenso können wir unseren Blick auf die Farben richten.‘ Stellt euch einfach mal vor: ich habe hier ein besonders schönes Krapprot. Jahrgang 2011, Tiefland Frankreich ;o) Wäre das nicht was?