16 Dez, 2016

Ausschließlichkeit

Wir müssen alle weniger konsumieren. Und es gibt schon Avantgardisten, die sich vorbildlich verhalten. Und der Kippschalter, wie aus der Vorhut dann eine Massenbewegung wird, die viele inspiriert? „Krisen“, sagt Niko Paech, und sieht ganz nett und glücklich aus.

Mitten im Vorweihnachtsgetümmel mit Glitzer, Deko und Glühwein, bin ich nach Berlin gefahren, um dem Popstar der Verzichtsforscher beim 64. Zeitforum Wissenschaft zuzuhören: dem in Oldenburg lehrenden Ökonom Niko Paech. Ach ja, Sina Trinkwalder von „Manomama“ ist auch da und dann noch eine Werbefrau, die findet, dass die „Telekom für das Teilen steht“  (magischer Adventskalender-Spot!) und nicht satisfaktionsfähig ist.

Das Publikum ist graumeliert, was nicht heißt, dass Verzicht=Reduktion grau ist, sondern nur, dass die einladende Zeit-Stiftung ein bisschen behäbig ist und außerdem stellen diese Zuhörer später Fragen, die zeigen, dass politisches Denken keine Frage des Alters ist.

Paech ist eloquent und sendet gleich am Anfang auf der richtigen Frequenz: „Reduktion in der Zeit der Reizüberflutung, sei einfach nur klug und Selbstschutz. Wer verzichte, rette sich.“ Und klingt dann überraschend kokett, wenn er sagt, dass er ja sein Leben gar nicht entrümpeln und entschleunigen musste, weil er ja ohnehin nie Smartphone oder Bohrmaschine hatte und bisher eh nur einmal in seinem Leben eine Flugreise gemacht habe. Spätestens jetzt ist mir klar, dass dieser Mann seine Rolle gefunden hat: als unerreichbares Vorbild. Und da findet er es ganz gemütlich. Zu Sina Trinkwalders Geschäftsmodell, eigentlich doch ein Degrowth-fähiges Unternehmen, sagt er nichts. Mokiert sich aber über ihre Kurzstreckenflüge. Sie hat andere Stärken: Mir gefällt gut, wie sie sehr warm für „Wertschätzung gegenüber der Wertschöpfung“ wirbt und dass niemand mehr wisse, wie hart es ist, ein paar Schuhe herzustellen.

Inmitten des Konsumgetümmels, sagt Paech, brauche es Übungsprogramme und Rettungsinseln, auf denen man trainiere, mit weniger zurecht zu kommen. Und Gleichgesinnte, die sich mit einem bei diesen Projekte des Widerstands – Urban Gardening, Regio-Geld oder Repair-Cafés – verbünden. Und weil ich glaube, dass wir nicht genügend Abwehrkräfte gegen die Verlockungen des Konsums haben – alles ist nur einen Klick entfernt – gefällt mir sein Vorschlag.

Und seine geschliffenen Sottisen gegen die Fortschrittsglaubwürdigkeit (geschlossene Kreisläufe als großes technisches Versprechen) sind natürlich brilliant. Es ginge nicht um „Ersatz, sondern ersatzloses Streichen“.

Aber wie wird das nun von Mini-Klein zu Mächtig-Groß? Wie kommt es zur gesellschaftlichen Umwälzung? Denn der private Verzicht auf eine Flugreise baut ja keinen Druck auf, lieber Niko Paech.

Ärgerlich ist sein Plädoyer für die Kraft von großen Krisen, auf die es zu warten gilt? Mann, die haben wir doch schon. Klimakrise, die Hälfte der Tiere verschwunden, Flüchtlingskrise. Aber es kommt noch dicker und plötzlich ist mir Paech zu unpolitisch, als er erklärt, von der mutlosen Politik sei nichts zu erwarten und auch nichts zu fordern. Sina Trinkwalder obliegt es dann, auf den Einfluss der Lobbyisten hinzuweisen, die etwa eine Kerosin-Steuer verhinderten und nicht „die Politik“. Paechs Ausschließlichkeit – wir Verbraucher müssen die „Drecksarbeit“ alleine machen – steht ihm letztendlich im Weg. Und sein trotziges „Ich bin gerne unpolitisch“ im Gespräch zeigt nur , dass ihm vermutlich alle huldigen (und SORRY – Oldenburg offenbar ein provinzielles Nest ist, wo aus jedem ausgedienten Kochtopf noch eine Feuerstelle gemacht wird). Politische Gehversuche wie jetzt in Schweden, das Reparieren steuerlich zu begünstigen (sprich billiger zu machen), wischt Paech vom Tisch, aber „Urban Gardening“ im kleinen Stil nicht? Prof. Paech, das ist widersprüchlich. Und das Publikum spürt das auch und stellt unruhig Fragen: Muss nicht auch von der Politik was kommen?

Ich hätte gerne mit diesen klugen Köpfen noch 20 gute Vorschläge erarbeitet, um das veränderte Verhalten – die neue Genügsamkeit – einzuüben? Einen Blog, in dem sich ein Jahr lang jeden Tag jemand von einem Gegenstand trennt, ein Improvisationstheater, um Mode-Liebhaberinnen über ihre peinlichsten Fehlkäufe berichten zu lassen, wie man dann doch Youtube einsetzt, um die Maker-Bewegung größer zu machen? Wie Primark-Mode sprunghaft teurer machen, so dass es weh tut?

Und jetzt wünsche ich euch erholsame Tage und dass das Quietschen und Rollen der Einkaufswagen um uns herum verstummt.

Disclaimer: Bin zu distelig? Ich fliege im Februar nach Indonesien und will mir das schön reden, weil der Niko Paech ja dann gerade mit dem Fahrrad durch Ostfriesland radelt? 

 

 

 

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

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