09 Nov, 2015

„Stummer Frühling“ unter Wasser

Jellyfish

Was mich umtreibt? Der Verdauungstrakt von Fischen, der mit Mikroplastik gefüllt ist, darunter viele Fasern. Lecker, oder? Studien zeigen, dass Mikroplastik von vielen Meeresbewohnern in erheblichen Mengen gefressen wird, weil sie es mit Plankton verwechseln. Wie größere Plastikteile den Magen von Seevögeln oder Meeresschildkröten verstopfen, so blockiert Mikroplastik den Verdauungstrakt kleinerer Meerestiere. Mikroplastik – da ist die Wissenschaft einig – bedroht die Nahrungsketten der Ozeane essentiell. Mikroplastik sind Kunststoffpartikel mit einem Durchmesser von weniger als fünf Millimetern. Es kann sich sowohl um Bruchstücke größerer Plastikteile wie Flaschen oder Tüten handeln, als auch um Partikel, die gezielt hergestellt wurden, zum Beispiel als Bestandteil von Peeling-Cremes. Die Menge von Mikroplastik im Ozean nimmt ständig zu.

Mikroplastik – das ist ein Problem mit potentiell apokalyptischen Ausmaßen. Es ist Zeit, Alarm zu schlagen, denn Mikroplastik ist nicht rückholbar. Die Bedrohung der Meere ist in etwa so groß wie damals die Umweltbedrohung durch Pestizide, die Rachel Carson 1962 in ihrem Buch „Der stumme Frühling“ beschrieb. Mikroplastik ist der „stumme Frühling“ unter Wasser.  Schätzungen zufolge landen sechs bis zehn Prozent des weltweit hergestellten Kunststoffs in den Ozeanen. Das sind jährlich bis zu 30 Millionen Tonnen. Und aus Makroplastik wird Mikroplastik.

Warum das bei einer Textilexpertin für Albträume sorgt? Weil meine Kollegen aus dem Meeresbereich bei Greenpeace gefragt haben, wie ich den Mikroplastik-Eintrag durch Kunstfasern beurteile und ich zu recherchieren begonnen habe. Erstes Ergebnis: Grundsätzlich gelangen bei jedem Waschgang Fasern ins Abwasser. Das gilt auch für Textilien aus Naturfasern, die jedoch im Gegensatz zu Kunstfasern biologisch abbaubar sind. Nach Angaben des Umweltbundesamtes tragen synthetische Textilien in Deutschland mit bis zu 400 Tonnen jährlich zur Verschmutzung der Umwelt mit Mikroplastik bei. Das ist um Größenordnungen weniger als etwa die Zersetzung größerer Plastikabfälle, entspricht aber der Partikelbelastung durch Kosmetikprodukte (kleine Plastikkügelchen etwa in Peelingcremes).  Die Freisetzung von Synthetikfasern beim Waschen ist also von der Menge her vernachlässigbar, aber was einmal da ist, bleibt und ist durch diese Langlebigkeit eben doch ein Problem und schlägt bei Kunstfasern negativ zu Buche.

Interessant ist, dass nicht alle Kleidungsstücke gleich viel Fasern in der Waschmaschine verlieren. Besonders problematisch ist das Sammelgrab Fleece (viele Fasern), die bei Versuchen doppelt so viel Fasern freisetzten wie Hemden aus Polyester. Ein Fleece-Pullover kann bei einer einzigen Wäsche bis zu 1900 Fasern ins Abwasser abgeben. In Nordamerika sind bereits Filter auf dem Markt, mit denen sich Waschmaschinen nachrüsten lassen. Noch zeigen die großen Waschmaschinen-Hersteller allerdings wenig Interesse an einer solchen Technik. Und ob sich die Kunstfasern generell anders produzieren lassen, so dass es nicht zu Abrieb kommt, dazu habe ich keine Informationen gefunden bislang. Ich weiß also noch nicht, ob Kunstfaser-Textilhersteller etwas verändern können.

Soll man Kunstfasern also lieber meiden? Kunstfasern verbrauchen in der Herstellung weniger Wasser als Baumwolle. Zudem lassen sie sich stofflich besser recyceln. Auf der Minus-Seite schlagen die verheerenden Umweltauswirkungen bei der Förderung des Rohstoffes Erdöl zu Buche und eben die Faser-Emissionen. Machen wir uns nur klar, dass Kunstfasern fast 60 Prozent der weltweiten Textilproduktion ausmachen. Diese Menge durch Biobaumwolle&Co. zu ersetzen, erscheint momentan schlichtweg unmöglich. Für Sportsachen jedenfalls steige ich jetzt auf Engel Sports um und ihre GOTS zertifizierte Kollektion aus Merinowolle und Seide.

Was bleibt uns sonst? Auf unnötiges Waschen von Textilien zu verzichten, zählt sicher dazu. Und eben generell weniger Kleidung zu kaufen und die Teile länger zu tragen. Ende November gibt es DIE Mikroplastik-Konferenz in Köln. Die Forschung setzt eigentlich jetzt erst richtig ein. Mir ist einfach angesichts der Dimensionen des Problems erstmal die Spucke weggeblieben. Und an dem Faser-Thema bleibe ich dran. Wenn es in Köln was interessantes Neues gibt, werde ich hier darüber schreiben.

Aus Taiwan vom Jahrestreffen der Greenpeace-Detox-Kampagne, grüßt euch Kirsten!

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

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Veröffentlicht in: News

2 Kommentare auf "„Stummer Frühling“ unter Wasser"

1 | fairlockend

November 13th, 2015 at 10:48

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Sehr erschreckend und unendlich traurig, wie sehr auch die Meere darunter leiden müssen… Was mir aber nicht ganz klar ist: Bisher bin ich davon ausgegangen, dass es eben keine Möglichkeit gibt, den Mikroplastik aus dem Abwasser rauszufiltern, weil die Teilchen einfach viel zu klein sind. Aber in dem Artikel schreibst du jetzt, dass in Nordamerika bereits Filter auf dem Markt seien, um die Waschmaschinen nachzurüsten. Also gibt es doch eine Möglichkeit? Oder was ist damit gemeint?

2 | Meine Fleecejacke, eine Umweltkatastrophe | Ich kauf nix!

November 19th, 2015 at 13:26

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[…] in ihrem Style, gespickt mit Zahlen, Daten, Fakten. Ich find den so super, dass ich ihn jetzt mal (mit Quellenangabe natürlich) hierher […]