28 Apr, 2013

„The better consumer in Europe“

 

Noch immer werden Überlebende geborgen, obwohl die Katastrophe schon Mittwoch passiert ist. Noch immer werden Hunderte vermisst. Filmaufnahmen zeigen Risse  in den Wänden, die Katastrophe hätte also verhindert werden können. Fünf Firmen haben bestätigt, dass sie dort aktuell oder vor Kurzem produziert haben, darunter der aufsteigende Billgheimer Primark (UK/Irland) und die Fast-Fashion-Kette Mango (Spanien). Andere wie Benetton (Italien), die durch Import-Daten oder durch Etiketten , die lokale Aktivisten gefunden haben, mit der Fertigung verknüpft wurden, leugnen ihre Verantwortung oder antworteten nicht auf Anfragen der Kampagne für Saubere Kleidung. Streiks und Proteste legen das Land lahm.

Die deutsche Berichterstattung über den Einsturz des achtstöckigen Fabrikgebäudes empfinde ich als erstaunlich mager.  An dem Tag, als die New York Times das Thema auf die Titelseite hob und mehrere Reporter vor Ort hatte, versteckte die Süddeutsche Zeitung das Thema online als vierte Meldung unter „Panorama“. Immerhin greift der  Spiegel das Unglück in seiner heutigen Ausgabe auf („Im Namen des Profits“) und schreibt spiegelesk, dass die buntgekleideten Trauernden, die ihre Angehörigen unter den Toten zu identifizieren versuchen, an eine Benetton-Werbung erinnern. Bitter.

Man mag denken, ich verzettele mich mit meinen Beobachtungen zur dünnen deutschen Berichterstattung auf einem Nebenkriegsschauplatz, aber es passt zu einer Studie, die ich eigentlich für den Blog aufbereiten wollte.

„The better consumer in Europe: The trends fashion companies should watch to make good decisions“ – wertet 60 Studien aus, die zwischen 2005 und 2013  zum „nachhaltigen Konsum“ in Europa veröffentlicht wurden. Autorinnen sind Pamela Ravasio und Ilaria Pasquinelli vom Londoner Thinktank texSture. Der Bericht kann gratis herunter geladen werden via http://texsture.com/outreach/reports. Die Meta-Analyse  ist ein echter Fundus, wenn es um Einstellungen und Verhalten von Konsumenten geht.

Ein Beispiel mag das illustrieren: In der Schweiz (Rang eins), Deutschland, Östereich und Großbrittanien gibt es die meisten Konsumenten, die sich als „highly ethical“ einstufen lassen.

Die Hauptgründe indes, warum sie – auch Mode – anders einkaufen, unterscheiden sich stark. Den Deutschen geht es vornehmlich – alleine – um Umweltschutz. In Europa sind sie sozusagen die Super-Ökos, in allen anderen Ländern werden auch ethische Gründe für bewussten Konsum genannt – in der Schweiz sogar gleichrangig neben den ökologischen (Ergebnisse 2013). Das ist kein Vorwurf, hat mich aber auf Anhieb berührt, gerade jetzt, wo sich die grausamen Bilder aus Bangladesch so in mein Hirn eingebrannt haben.

Fairerweise muss hier gesagt werden, dass die Otto-Trendstudie zum ethischen Konsum 2011 ein anderes Bild ergeben hatte. Dort heißt es: „Bio ist nur eine Facette des Themas. Ethischer Konsum wird mittlerweile ganzheitlich gesehen und weitet sich aus“. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen rückten mehr und mehr in das Zentrum des Interesses.

Denken die Journalisten womöglich, die deutschen Leser interessierten sich nicht ausreichend für das Leid der Textilarbeiterinnen in Bangladesch? Und wenn, gerade dann bräuchte es mehr lautstarke Berichterstattung auf Seite eins! Nicht nur wegen der Modekäufer, auch weil Unternehmen und auch Politiker feinnervige Antennen dafür haben, was Kunden und Wähler lesen, wie sie vermutlich reagieren und was sie vermutlich fordern. Und weil hier gerade Wunschkonzert ist: Eine Kampagne,  die in Sachen sozialer Verantwortung so viel Druck auf die Unternehmen ausübt wie die Detox-Kampagne von Greenpeace in puncto Umweltschutz, die sehe ich jetzt gerne.

Die weiteren Ergebnisse der lesenswerten Studie, etwa  über den Wert von Siegeln und das Vertrauen in solche Zeichen reiche ich nach. In Hamburg bricht gerade der Sonnenschein durch und das ist absolut selten. Gelatophile Grüße und eine schöne Woche euch allen.

 

 

 

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

Hier finden Sie alle Artikel von .

Veröffentlicht in: News

5 Kommentare auf "„The better consumer in Europe“"

1 | marcus

April 29th, 2013 at 07:38

Avatar

Es ist eine weitere grosse Tragödie. Wenn in Europa oder Amerika solch eine grosse Zahl von Menschen stirbt oder schwerverletzt wird kommen solche Notizen tagelang ganz vorne raus in der Presse. Hierzulande liest man z.B. tagelang von bescheuertem Fußball oder Steuerhinterziehungen. Ah stimmt! -> Warum verdienen den die grossen Textilfirmen hier so viel Geld und konnten in den letzten Jahrzehnten so groß werden? -> Ja „Irgendeiner“ muß das Alles halt irgendwo nähen damit hier soviel Geld verteilt werden kann, und das Alles für einen Hungerlohn. Hauptsache hier gibt es genug Geld für Brandschutz und etc etc. etc.

Und was ich mich fragte:

Warum wurden eigentlich keine hochspezialisierte Suchtrupps mit Hunden aus Europa eingeflogen? (Oder ist mir das entgangen)

Puh,
so Traurig.

2 | Alexandra

April 29th, 2013 at 12:04

Avatar

Danke Kirsten, mal wieder hast du scharf analysiert, woran es mangelt. Auch ich empfand die Berichterstattung reichlich mager – in der Tagesschau werden „Korrespondenten vor Ort“ live aus der indischene Hauptstadt Dehli interviewt! Sind ja nur knapp 2.000 km bis zum Unglücksort, also hautnah dran.
Deinen Wunsch nach erfolgreicher, Detox-analoger Kampagnenarbeit kann ich sehr gut nachvollziehen. Nur muss man aufpassen, dass vermeintliche Umweltthemen – die ja immer auch Menschen betreffen – nicht durch Sozialthemen verdrängt werden, oder umgekehrt. Endlich eine ganzheitliche Kampagne, die die Unternehmen hart in die Pflicht nimmt und mit Power die Umsetzung der oft schönen Worte von Unternehmensseite verfolgt und einfordert – das wünsche ich mir. Für die Millionen Menschen, die unsere Kleidung herstellen, und die es alle verdienen unter anständigen Bedingungen ihrem Beruf nachzugehen.

3 | Torsten

April 29th, 2013 at 12:10

Avatar

Dass die New York Times das Thema so groß macht, liegt aber auch an einer historischen Parallele. Denn gerade das Feuer in der New Yorker Textilfabrik „Triangle Shirtwaist Factory“ mit 146 Toten war ein Ausgangspunkt für den Kampf für Arbeitnehmerrechte in den USA.

4 | Kirsten

April 29th, 2013 at 13:16

Avatar

@Torsten: Herzlichen Dank für den Hinweis auf historische Parallelen, hier zum Nachlesen http://de.wikipedia.org/wiki/Brand_der_Triangle_Shirtwaist_Factory

5 | Martin Herrndorf

April 29th, 2013 at 22:48

Avatar

Es gab einen sehr eindrücklichen Bericht im Spiegel – nicht von einem Korrespondenten vor Ort, aber von jemandem, der die allgemeine Situation vor Ort gut kennt (Link siehe unten).

Die Kommunikation rund um nachhaltige Mode hat sich in den letzten Jahren ja sehr Richtung „positive Botschaften“ verschoben, und das ist prinzipiell auch richtig. Aber vielleicht muss es manchmal der Dampfhammer sein: „Wegen deinem Geiz und deiner Eitelkeit wurden gestern Menschen zwischen Betonplatten zerdrückt“. Und da scheuen die Medien schon vor zurück, sicher auch aus Rücksichtnahme auf die lieben Werbekunden.

Von Primark kann man das gleiche Gerede über Zulieferketten hören wie sonstwo, siehe der zweite Link…

https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/eindruecke-nach-fabrikeinsturz-in-bangladesch-a-897069.html

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/primark-chefin-odonoghue-ein-no-frills-unternehmen/5922074-2.html