13 Jul, 2013
Berlin: I love upcycling!
Meine erste Station auf der Berliner Modewoche war die „Upcycling Fashion Vernissage“ im Upcycling Fashion Store in der Anklamer Straße 17. Nicht zu verfehlen, da die britische Flagge schon weithin sichtbar war. Der Laden ehrte damit revolutionäre Upcycling-Designer, Kollektionen und Konzepte aus Großbrittanien wie Orsola de Castro („from somewhere“). Eines der wahrlich einmaligen Stücke ihrer Kollektion hing auch im Fenster – ein Ballkleid aus ausrangierten Speedo-Badeanzügen (Bild oben).
Die Idee des Upcycling Stores wurde im Herbst 2011 geboren. Arianna Nicoletti, Carina Bischof, Luise Barsch und Jonathan Leupert (Bild oben!), die auch hinter dem Upcycling-Label aluc stehen, ist es gelungen, in gerade einmal 18 Monaten eine feste Größe in Berlin zu werden. Verkauft werden aluc, ReClothings, km/a, Milch, Globe Hope, Steinwidder und SAG+SA, aber auch Schmuck von OldGold. Ergänzt wird das Sortiment von jungen Designern und Künstlern – auf der Modewoche jetzt etwa von der Engländerin Lizzie Harrison („Antiform“).
Gekommen war ich, um mir unter anderem eine zentrale Frage zu beantworten: Kann man Upcycling-Stücke eigentlich wirklich im Alltag tragen, wie speziell ist ihr Design? Die Antwort ist zwiespältig. Manches, was dort zu sehen war, halte ich für tragbare Skulpturen – dazu zählen etwa die wunderbaren Sockenkleider von Steinwidder. Das Recycling ist hier im Design deutlich sichtbar, (die Socken klar zu erkennen), aber natürlich sieht es eben nicht nach Ware aus dem Altkleider-Container aus, sondern hat seine ganz eigene Ästhetik. In diese Kategorie ordne ich auch die Anzüge und Sakkos von Daniel Kroh ein (ReClothings) – Unikate, für die die Träger auch Charisma haben müssen.
Weitaus rustikaler und klar in Patchwork-Optik sind die Sachen von Lizzie Harrison (Antiform, siehe Bild oben), auch hier wird es vermutlich schwierig, breitere Käuferschichten zu begeistern, obwohl die Sachen erschwinglich sind. Manche würden sagen, Lizzies Sachen sind ausdrucksstark – aber eben auch ein bisschen schräg. Aber vermutlich wird das, was ich tragbare Skulpturen nenne, eben gerade wegen der speziellen Ästhetik gekauft – aber deswegen auch nur von wenigen?
Anders sieht es dagegen mit den Kleidern von Globe Hope und den Hemden und Blusen von aluc aus, die für mich das Potential zur Großserie haben. Aluc setzt ohnehin „pre-consumer-waste“ ein – also Reste wie Verschnitt oder Rollenenden oder Musterteile, die bereits im Herstellungsprozess entstehen. Das Ausgangsmaterial sieht also praktisch wie neu aus – das macht es einfacher. Besonders schön ist die Idee, auch Reste aus der Produktion von Öko-Kollektionen noch zu verwerten – hierzu kooperiert aluc mit dem Hemdenhersteller brainshirt (und deren österreichischer Weberei).
Aluc bietet zwar die Möglichkeit, die Kragen der Hemden abzuknöpfen und auszutauschen und als Träger dann doch ein bisschen flippiger und patchwork-mäßiger auszusehen, aber wer das nicht mag, kann es einfach lassen. Bei Globe Hope (die Pre- und Post-consumer-waste einsetzen), haben mich vor allem die Etuikleider überzeugt (Reste aus finnischer Textilfabrik), die es in verschiedenen Farbkombis gab.
Stichwort Geschäftsmodell: Gefragt habe ich sowohl Globe Hope als auch aluc, ob tatsächlich so viel Verschnitt anfällt, dass man Großserien produzieren könnte und damit auch nicht nur hochwertige Einzelteile, sondern größere Stückzahlen in ähnlicher Optik? Beide Label haben das bejaht und beide Label achten übrigens auch darauf, das ihre Upcycling-Mode in Fabriken genäht wird, wo ordentlich bezahlt wird – um das zu gewährleisten kooperiert aluc etwa mit good one aus London – um gemeinsam Produktionsstätten auszulasten und so mehr Einfluss zu haben. Das Aluc-Team ist enthusiastisch und überzeugt, dass es voran geht – nicht nur die Idee wächst, sondern auch der Gewinn, damit alle davon leben können.
Upcycling hat im Kleidungsbereich nämlich noch einen weiten Weg vor sich – im Bereich Accessoires ist es dagegen voll im Mainstream angekommen und macht erfolgreich Geschäfte. Als Beleg dafür – und pars pro toto – soll hier die Geschichte des Kölner Taschen-Labels Feuerwear stehen, die auf der Ethical Fashion Show im E-Werk ausstellten.
Gründer Martin Klüsener hat erst mit Surfsegeln gearbeitet und dann auf Feuerwehr-Schläuche umgestellt, weil er nicht dem „Material hinterher eiern wollte“ wie er sagt. Davon gibt es nämlich genug, was für Upcycling in Großserie essentiell ist. Nun verarbeitet er 40 Tonnen Feuerwehrschlauch pro Jahr, 2012 waren dass 40.000 Teile, Renner sind die Laptop- und Umhängetaschen für Jungs. Sie sind einfach ein „Männerlabel“, sagt Martin und wird auch bei seiner Zielgruppe bleiben und bei Taschen&Accessoires. Das macht übrigens auch vom Material her Sinn. Denn der Schlauch ist sehr geradlinig, hart und „eckig“ – selbst komplizierte Schnitte, die etwa für Rucksäcke nötig wären, sind schon schwierig.
Sie sortieren das Material in Köln, produzieren aber seit sieben Jahren in Polen und seit drei Jahren in Serbien und lasten die kleinen Familienbetriebe dort inzwischen gut aus. Man hat bei Feuerwear sofort den Eindruck, dass die Story stimmt und auch wirtschaftlich zu Ende gedacht ist. Beispiel weitere Expansion: Wo in der Welt werden Feuerwehrleute echt heroisiert? Yupp, USA. Spätestens seit 9/11 sind Firefighter Helden. Und da die Feuerwear-Taschen ohnehin schon amerikanische Männernamen wie Mitch, Rick, Pete oder Ron tragen, ist der Schritt in die USA logisch – und vermutlich auch profitabel. Sechs Leute sitzen bei Feuerwear in Köln und sie können davon leben – Hut ab.
Was ich generell zur Zukunft von Upcycling denke? Es fehlt noch Feldforschung. Wir haben bislang sicher nur eine rudimentäre Vorstellung davon, wo überall Abfälle anfallen und was man noch alles umnutzen kann. Es wäre vermutlich ein interessanter Fulltime-Job, Wirtschaftskreisläufe konsequent nach recycling-/upcycling-fähigen Materialien abzusuchen – ich bin sicher, wir würden eine Menge entdecken.
Und hier noch mein Lektüretipp: Mit Genuss lese ich gerade die „Stadt der Commonisten. Neue urbane Räume des Do it yourself“ – ein farbenprächtiges Kompendium von A – Z und auch Chronik eines Aufstiegs von Themen. Dazu gehören fahrende Gärten genauso wie Repair Cafés oder eben Upcycling.
Dort ist unter U wie Upcycling zu lesen:
„Gefällt den Protagonisten auch deswegen, weil es der kapitalistischen Logik ein Schnippchen schlägt. Ihr zufolge sollen defekte Industrieprodukte möglichst schnell durch neue ersetzt werden, damit die Wachstumsdynamik nicht ins Stottern gerät. Die geplante Obsolenz lässt sich auch unterlaufen, indem man den Dingen ein zweites Leben gestattet. Müll wieder in Gebrauchsgüter zu verwandeln, sagt Marianne Gronemeyer, ermöglicht es, sich mit den Dingen in der Welt zu beheimaten: Wir brauchen eine Welt, die uns überdauert, in der wir uns, weil sie uns überdauern wird, geborgen fühlen können. Auch der Knappheitsdiskurs verliert angesichts dieser Praxis an Überzeugungskraft: Wenn man Dinge reparieren, upcyclen, umdeuten kann, dann sind sie plötzlich nicht mehr knapp, dann ist die Welt immer voll von Dingen, die man (um-) nutzen kann.“
Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland. Hier finden Sie alle Artikel von Kirsten . |