15 Jun, 2008

Tchibo IV: Kreml-Syndrom

In der Textilindustrie ist es wie bei der Mafia. Es gilt Omertà – ein Schweigegebot. Wem das zu rabiat ist: Zumindest ist man so verschwiegen wie der Kreml.

Tchibo redet jedenfalls nicht mehr mit mir – und ist ein großer Textilhändler. Tchibofreie Zone ist ja eigentlich nur noch die Antarktis. Deswegen finde ich es legitim, Tchibo zu fragen, wie sauber und sozialverträglich produziert wird – und wo. Letztendlich geht es um Transparenz und damit um Sicherheit für die Kunden. Die möchten nämlich wissen, was sie billigend in Kauf nehmen, wenn sie „Jede Woche eine neue Welt“ im Schaufenster sehen.

Warum soll es also nicht möglich sein, mir exakt Auskunft zu geben über die Produktionsstätten, wo die Tchibo-Shirts herkommen. Wenn eine Liste aller Produktionsstätten mit Adressen im Internet wäre, wäre mir schon wohler. Denn das machte die Fabriken durchsichtig und ist geradezu ein Garant dafür, dass dort gerecht bezahlt und umweltverträglich produziert wird. Jederzeit wäre eine Stichprobe möglich.

Natürlich finde ich das Schweigen des Imperiums nicht akzeptabel – wäre ich katholisch, würde ich wahrscheinlich sagen: Soll der Zorn des Herrn sie treffen. Bin ich aber nicht.

Wie man an den Blog-Kommentaren zu der Tchibo-Aktion sehen kann, bin ich schon ermahnt worden, ich möge jetzt endlich mein Sit In vor der Tchibo-Zentrale in Hamburg veranstalten. Ich habe eine bessere Idee. Wartet bitte noch bis Mitte der Woche ab oder wie es in Zeiten der Fußball- Europameisterschaft heißt: Das Spiel hat 90 Minuten.

NACHTRAG MONTAG MORGEN 9 UHR:

Der Chef der Tchibo-Unternehmensverantwortung hat auf mein Band gesprochen. Er bittet um Rückruf. Fairerweise ergänze ich also: Tchibo schweigt nicht mehr. Textilmafia ziehe ich zurück.

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

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Veröffentlicht in: Tchibo

1 Kommentar auf "Tchibo IV: Kreml-Syndrom"

1 | John Dean

Juni 28th, 2008 at 02:02

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Warum die Geheimniskrämerei?

Ich denke, dafür gibt es mehrere Gründe, vornehmlich ökonomischer Natur.

1. Kein leistungsfähiger Händler gibt gerne seine Bezugsquellen oder Fabriken an. Schließlich möchte man weder Konkurrenten, welche mit diesen Kenntnissen die erfolgreichen Produkte einfach kopieren, noch möchte man, dass die Konkurrenten auf billige Bezugsquellen aufmerksam gemacht werden. Als grobe Regel: In einem guten Einkauf liegt in einem Handelsgeschäft bereits der halbe Gewinn. Dazu gehört allerdings auch, dass man sich als Firma mit guten Bezugsquellen einen Vorsprung sichert.

2. Es ist natürlich auch eine Frage der Öffentlichkeitswirkung. Kein Ausbeuterbetrieb bzw. eines von brutaler Ausbeutung profitierender Textilhändler schätzt es, wenn z.B. die neugierige internationale Presse (oder, auch schlimm: ein frecher Blogger auf Reisen) echte und vertiefte Kenntnisse über die Produktionsbedingungen erhält.

Schweigen ist Gold bwz.: Transparenz zerstört die Geschätsgrundlage und den auf Ignoranz beruhenden Freibrief für derlei Tun.

3. Es ist vom Informationshandling nicht so ganz einfach. Ein großer Textilhändler kann auch mal kurzfristig gezwungen sein, seine Chargen zu mischen, oder dazu, ganz unvorhergesehen eine neue Bezugsquelle zu nutzen. Wenn daraufhin gleich die ganze Unternehmenskommunikation, d.h. die Hinweise für die Kunden und/oder die Werbung umgestellt werden muss, dann ist das ein Desaster, jedenfalls: organisatorisch und finanziell aufwändig.

Also lieber garnichts sagen, jedenfalls, solange man damit als Firma
durchkommt.

4. Es ist bislang auch noch nicht ein „so großes Thema“ bzw. steht noch nicht so sehr im Fokus des öffentlichen Interesses. Ich würde Wetten darauf abschließen, dass eine Firma wie Tchibo durchaus (!) Interesse daran hat, dass man die ärgsten Ausbeuterpraktiken im weltweiten Warenhandel nicht unterstützt.

Nur benötigt man dafür – so ist das in der Hektik des Gechäfts mitunter – auch mal den einen oder anderne freundschaftlichen Hinweis und/oder Knuff.

Anders gesagt: Ohne kompetente Kritik geht es nicht. Firmen profitieren dabei durchaus von Anstößen aus der Gesellschaft. Und nur in den seltensten Fällen werden Firman von asozialen Arschlöchern oder rechtslibertären Kinderarbeitbeschönigern geleitet.

Im Grunde genommen wissen gute Kaufleute und weiß man allgemein in den besseren Firmen: Gewisse soziale Mindeststandards sind im weltweiten Warenhandel notwendig.

Es gibt viel zu tun!

P.S.

Vielen Dank für die couragierte Aktion!