09 Okt, 2014

Stitched Up: The Anti-Capitalist Book of Fashion (Tansy E. Hoskins)

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Eine Rezension von Michael Pollok

Mode, in all ihren facettenreichen Variationen, hat etwas Herrliches und Bezauberndes. Bei genauerem Hinsehen offenbart sich aber eine mindestens genauso furchtbare und grausame Realität. Tansy Hoskins Buch ist ein kritisches Manifest, das genau hier ansetzt: Es ist keine Absage an die Schönheit und Kreativität, die in jedem Kleidungsstück steckt, sondern das Plädoyer gegen ein globales System, das auf allen Ebenen des sozialen Reproduktionsprozesses Menschen ausbeutet und diese für ökonomischen Interessen ausnutzt.

Die effektivsten Unterdrücker seien hierbei genau diejenigen, die es schaffen, ihre Untergeordneten dazu zu bringen sie zu lieben, zu begehren und sich mit ihrer Macht zu identifizieren. Mode nutzt genau diese Logik und verwehrt denjenigen an Schönheit und Kreativität teilzuhaben, die in mühevoller, aufzehrender Handarbeit, Tag für Tag auf den Baumwollfeldern und in den Nähfabriken dafür sorgen kleine Kunstwerke zu Minimalpreisen in unsere Läden zu liefern. In ihrem mitreißenden Buch führt Hoskins die Leser in die Untiefen einer Produktionswelt, die nur auf Profit aus ist und von einigen wenigen, transnational agierenden Unternehmen kontrolliert wird. Welche menschenverachtenden Praktiken dabei enthüllt werden dreht sogar gut informierten Modekenner_innen den Magen um und lässt die Mystique der Mode schnell verblassen.

Ständig kommt man ins Grübeln wie eigentlich dieser Pullover hergestellt wurde an den sich die beim Lesen immer wieder aufkommende Gänsehaut schmiegt. Dabei hört Hoskins nicht bei den ausgebeuteten Textilarbeiter_innen in den Produktionsländern auf, sondern erweitert ihre detaillierte Analyse auf die immense Ausbeutung der Natur- und Tierwelt und lenkt dann auch den Blick auf die vermeintlichen Ausbeuter – nämlich uns: die privilegierten Konsument_innen, die den Sinn verloren haben für Qualität, die sich täuschen lassen von großen Marketing-Kampagnen und Models, die sich bis in den Hungertot treiben und an den sexistischen und rassistischen Modeidealen zu Grunde gehen. Mode also als akribisch organisierte Ausbeutungsindustrie, die alle Lebenswelten weltweit vereinnahmt.

Und nun? In den letzten drei Kapiteln macht Hoskins Hoffnung auf eine alternative Realität und zeigt Perspektiven von Widerstand, Reform und Revolution. Hier wird schnell klar, dass sie mehr von uns fordert als zum Beispiel den Konsum ethischer Mode als Symptonbekämpfung eines defizitären kapitalistischen Systems. Wie könne man auch die Lösung für alle Probleme in der Ursache dieser finden? Doch wie kann man dieses menschenverachtende System umgehen? Hoskins fordert nicht weniger als eine radikale Demokratisierung von Mode: kleine Kooperativen in denen die Kleidung selbstbestimmt und unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt wird, unabhängige Designer_innen, aber auch Konsument_innen, die selbst zu kreativen Produzent_innen ihres Lebensstils werden. Nur so könne der Übergang von einer alles verzehrenden Fast-Fashion Mentalität hin zu selbstbestimmten Individualismus geschaffen werden, der nicht auf die Ausbeutung anderer angewiesen ist.

Hoskins Buch ist ein bedeutender und wichtiger Beitrag beim Nachdenken darüber, wie Mode sozial und ökologisch nachhaltig gestaltet werden kann. Nach dem Lesen der letzten Seite ist es eben nicht eines der Bücher, die man resigniert und frustriert beiseitelegt, weil die Probleme sowieso zu groß scheinen oder man keine Lust auf einen weiteren Kauf-dich-nachhaltig-und-glücklich-Guide hat. Hoskins macht Mut und Lust selbst Vertreter_in eines eigenen individuellen Lebensstils zu sein und nicht mehr passive/r Konsument_in. Auch wenn viele Fragen offen bleiben ist das Buch doch eine Grundlage darüber zu reflektieren, wie wir gemeinsam aktiver, demokratischer und freier werden können und dabei das schätzen was wir und was andere dafür tun können aus dieser Welt einen offeneren, schöneren, traumhafteren Ort zu machen. Jede Praxis der politischen Emanzipation – und das gilt auch in der Mode, die nachhaltig sein will – beinhaltet auch immer die schwierigste Form der Befreiung, nämlich uns selbst von uns selbst. Prädikat: absolut lesenswert!

Stitched Up: The Anti-Capitalist Book of Fashion  von Tansy E. Hoskins ist erschienen bei Pluto Press.

     
 Michael Pollok   Michael Pollok ist seit Januar 2012 Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung am Institut für Politikwissenschaft Münster und interessiert sich für Perspektiven einer nachhaltigen Politischen Ökonomie von Mode. Er macht derzeit ein Praktikum bei gruene wiese in Münster.

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Veröffentlicht in: News

1 Kommentar auf "Stitched Up: The Anti-Capitalist Book of Fashion (Tansy E. Hoskins)"

1 | Es kann halt doch nicht genug Bücher geben… | Ein Jahr ohne Kleiderkauf + danach

Oktober 27th, 2014 at 09:23

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[…] immer am Stapel gelegen, hab ich immer aufgeschoben. Bin noch nicht allzu weit, aber bisher kann ich die Rezension von meinen Kollegen auf der Grünen Mode nur unterstützen. Lesenswert auf alle […]