19 Sep, 2010

Politik ist in Mode

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Auf Deutschlands Straßen ringen die Bürgerinnen und Bürger derzeit um einen neuen Demokratie-Begriff. Sie wollen gehört werden und sich selbst aktiv in die Politik einmischen. Zehntausende haben in Berlin gegen eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken demonstriert, in Stuttgart bleiben die Bürger weiter am Ball gegen das umstrittene Bahnprojekt. Darunter sind viele Menschen, die sonst nie demonstrieren. Rechts und Links löst sich auf. Hippies und Bankiers stehen Seite an Seite.

Selbst die Kanzlerin steigt ein in die Debatte. Mitten in der Haushaltsdebatte hat sie sich überraschend für das Großprojekt in Stuttgart in die Bresche geworfen – und damit ein klares Signal gegen die Politisierung von Bürgern gesetzt. Persönlich halte ich Merkels Machtwort für Harakiri, zumindest für gewagt, denn Merkels Parteigenosse Mappus wird vermutlich dank seiner Hilflosigkeit im Umgang mit renitenten Bürgern die Landtagswahl verlieren. Und auf Stuttgarts Straßen kommt die Einmischung der Kanzlerin gar nicht gut an.

Merkels Intervention von außen wird als kalt empfunden, gefragt sind aber Authenzität und bisweilen sogar Emotionalität – auch in der Politik wäre das durchaus belebend. Und natürlich wäre es überraschender und klüger gewesen, hätte sie es einmal gewagt, die Linie ihrer Partei zu verlassen und sich auf die Seite der Menschen zu schlagen. Ich bin  ja Anfang der Woche in der Talkshow „Beckmann“ als Guttenberg-Groupie aufgefallen und habe ihn als „Solitär“ bezeichnet. Eigentlich nur, um die reale Führungsriege der Parteien um so dunkler zu zeichnen. Aber die Fähigkeit, gegen den Strom zu schwimmen, zeichnet eben tatsächlich nur wenige Politiker aus. Die meisten Hinterbänkler sicher nicht.

Agierte Umweltminister Norbert Röttgen ähnlich klug wie Guttenberg, hätten wir jetzt keine Verlängerung der AKW-Laufzeiten.

Die Bürger, die jetzt selbst eingreifen in die Politik, bedeuten auch für ökologische Anliegen – und auch Produkte – sehr viel. Die Zeit der Lohas und des Hedonismus neigt sich offenbar schon wieder dem Ende zu. Kunden wollen heutzutage als Kämpfer angesprochen werden und nicht mehr erdig und blumig. Als diejenigen, die gegen den Strom der Großkonzerne schwimmen. Die viel geben, aber nicht klein beigeben.

Auch Öko-Unternehmen – und explizit auch Labels für grüne Mode – sind deshalb gut beraten, ihre Kundenkommunikation deutlich zu politisieren und nicht mehr auf pure Naturverbundenheit oder Gesundheit zu setzen. Die Menschen interessieren sich auch bei Lebensmitteln für mehr als Zucker und Fettgehalt und ebenso dafür, wie und wo die Lebensmittel produziert bin. Ein Verbraucherbild, was allzu reduziert ist, hat einfach ausgedient. Diese Wandlung gilt auch für Mode.

Hier lässt sich von anderen Branchen durchaus abgucken. Die neue Werbung von Greenpeace Energy bringt diese Vision exakt auf den Punkt: „Woanders ist der Kunde König. Bei uns ist er Kämpfer“. Ich halte das für stilbildend. Zumal es sich auch optisch mit einer härteren Graffiti-Schrift paart.

Wünschenswert wären auch Mode-Kampagnen, die diesen neuen Ton treffen und die Bürger von heute auf den Barrikaden abholen, wo sie gerade stehen. Die Mode muss dazu selbstredend genauso zeitgemäß und zukunftsfähig sein wie die Bürgerinnen und Bürger, die sie dann offensiv tragen.

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

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Veröffentlicht in: News|Tipps

2 Kommentare auf "Politik ist in Mode"

1 | Matthias Hebeler

September 19th, 2010 at 16:55

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Liebe Kirsten,

herzlichen Dank für diesen Kommentar. Und schonmal vorab – 100% Zustimmung.

Natrülich ist jedes Textil das wir nachhaltig fertigen auch gleichzeitig eine politische Botschaft, und damit ist natürlich jeder Kunde der ein solches Textil kauft und trägt auch ein Botschafter.

Die aktuelle Bundesregierung hat mit Ihrem wirtschafts- und energiepolitischen Kurs gezeigt, dass ihr Nachhaltigkeit wirklich nicht am Herzen liegt. Die Verlängerung der Laufzeiten ist das denkbar schlechteste Zeichen, hier wird an etwas gerührt, was zumindest über alle Parteigrenzen hinweg akzeptiert war. Klar, die Atomlobby klatsch in die Hände, würde ich auch, wenn mir allein der Uraltreaktor Biblis per annum 700 Millionen Euro Gewinn erstrahlt. Wir produzieren weiter Atommüll, und dieses Fehlverhalten werden unsere Kinder ausbaden müsen – denn – auch hier gilt – obwohl uns die Atomindustrie seit Jahren ein Endlager versprochen hat, es gibt keins.

Andererseits unterstützt diese Bundesregierung Unternehmen wie KIK (siehe Blog auf meiner Seite) denen nichts wichtiger ist als die Gewinnmaximierung und der Profit. Shareholder Value über alles – das ziemlich diametrale Gegenteil von dem was wir wollen.

Anyhow – wir grünen Label zeigen jeden Tag aufs neue was im Bereich der Nachhaltigkeit möglich ist. Wir machen es einfach, ohne auf Segen oder Unterstützung aus Berlin oder sonstwo zu warten. Und gemeinsam mit unseren Kunden gelingt es uns, jeden Tag, wenn auch in mitunter homöopathischen Dosen, etwas zu verbessern.

Mode ist Politik – deutlichere Botschaften, klarere Aussagen. Ich glaube, unsere Kunden – über alles Label – sehen sich Kämpfer für eine bessere Welt. In diesem Sinne Kirsten, herzlichen Dank für den Kommentar.

Liebe Grüße

Matthias.

2 | Bernd

September 19th, 2010 at 20:30

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Norbert Röttgen war von Anfang an für eine Verlängerung der Laufzeiten-nur wären es bei ihm angeblich weniger Jahre geworden. Dass zu Guttenberg noch vor wenigen Wochen für die Beibehaltung der Wehrpflicht plädiert hat, ist offenbar auch schon vergessen-ihn als Beispiel für inhaltliches standing zu nennen, halte ich für gewagt.