14 Aug, 2008

Besserwissergirl

Heute: Literatur. Was habe ich mich gequält mit dem Titel dieses Verrisses. Ein Song der Ärzte musste es sein, denn Autor Tobias Schlegl (30) lässt sich gerne den Alltag und das Leben erklären mit den Songs der Punkrockband „Die Ärzte“. Also, dann singe ich jetzt mal das „Lied vom Scheitern“ (2007), behaupte „Das ist nicht die ganze Wahrheit“ (1988) und frage mich jammervoll, wo sind „die klügsten Männer der Welt“ (2003)? Ich, das Besserwissergirl (leicht abgewandelt, 2003).

Tobias Schlegl, Moderator, Sänger und Schauspieler ist durch Deutschland gereist, um zu klären, wie zukunftsfähig die jungen Deutschen sind und praktische Antworten zu finden, wie man seinen Alltag zum Besseren verändern kann. Er ist willig und begeisterungsfähig und humorvoll. Das ist ja wohl mehr als ausreichend für einen jungen Mann, der ein Buch schreiben will und seine Generation zu mehr Ökostrom, weniger Fast Food und mehr Nachdenken beim Klamottenshoppen bewegen will – dachte ich.

Aber er leistet sich soviele sachliche Fehler und ärgerliche Oberflächlichkeiten, dass ich nach Lektüre genau das fürchte: dass sich andere auf seine Fehldiagnosen verlassen. Schlegl ist immer dann gut, wenn er im Schlepptau mit einem klugen Experten loszieht wie Thilo Bode (Foodwatch) oder erfahrene Verbraucherschützerinnen fragt wie Edda Müller (Umweltbundesamt) und einfach mitschreibt, was der oder die sagt und tut. Er ist immer schlecht, wenn er alleine loszieht und seine eigenen Schlüsse zieht.

Beispiel – habt ihr euch schon gedacht – Klamottenshoppen. Secondhand-Klamotten will nach Schlegl keiner, deshalb geht er in Hamburg zu H&M, S.Oliver, Zara, C&A und Hess Natur und versucht sich in Sachen Kleidung schlau zu fragen. Sein Kriterium: Können die Verkäuferinnen seinen Wissensdurst stillen. Leider hat man immer den Eindruck, er orientiert sich – Verzeihung – nur an Arsch und Titten der „Hühner“, die er fragt. Bei H&M hat eine einen Damenbart (schlecht), bei C&A verzaubert ihn Gottseidank Aygül (gut). Seine oberflächlichen Recherchen entschuldigt er damit, es handele sich ja nur um einen „Kurztrip in das Fashion-Wunderland“.

Wirklich ärgerlich ist sein Besuch bei Hess Natur, die wohl ein bißchen altbacken sind, aber eine durch und durch grüne Philosophie haben. Hier quatscht er gar keine Lady an, sondern hängt sich an Plastikstühlen und TV-Geräten im Laden auf. Er fordere eben auf a l l e n Ebenen Taten. Hey, komm´zur Sache, denke ich. Was ist mit den Klamotten? Aber da sitzt Schlegl schon wieder in der Bahn auf seiner Reise durch die Republik. Du liebe Güte, der Typ ist womöglich der Öko-Revolutionsführer seiner Generation..

In den Tipps am Ende des Kapitels steht: Es helfe ein Anruf bei Greenpeace oder dem BUND, wenn man Fragen habe. Beide Organisationen sind klasse, aber arbeiten beide nicht zum Thema Kleidung. Setzen, Sechs, Schlegl.

Würde mein Urteil nur auf seinem süßen Flaumbärtchen beruhen, wäre es übrigens wohlwollender.

Tobias Schlegl: Zu spät? So zukunftsfähig sind wir jungen Deutschen. Rowohlt 2008. 8,95 Euro.

     
 Kirsten   Kirsten Brodde, Blog-Gründerin und Autorin von "Saubere Sachen", hat das Thema Ökomode quasi aus dem Nichts entwickelt. Sie arbeitet als Greenpeace Detox-Campaignerin bei Greenpeace Deutschland.

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4 Kommentare auf "Besserwissergirl"

1 | wumble

August 20th, 2008 at 18:40

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Hey, aber Hess Natur gehört zu Karstadt. Also so grün ist die Philosophie dann dort vielleicht doch nicht…

2 | admin

August 20th, 2008 at 19:08

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@wumble: Stimmt, was den Konzern angeht. Aber Hess Natur ist durch und durch grün. Übrigens: Karstadt hat mit dem Designzentrum Norintra in Hongkong noch einen grünen Ableger. Die sind inzwischen vom holländischen Siegelgeber Made-by zertifiziert.
Aber wie du achte ich bei „grünen“ Unternehmen darauf, wem sie gehören.
Der Body Shop (Naturkosmetik) gehört inzwischen zu L´Oreal, Manufactum zu Otto.

3 | Alexandra Perschau

August 22nd, 2008 at 11:13

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Hi Kirsten,
das Buch kenne ich nicht und möchte mich darüber nicht weiter äußern, da ich sehr wahrscheinlich mit Dir einer Meinung bin.
Dennoch finde ich es toll, dass Tobi Schlegl sich als ‚Merchandising Kooperationspartner‘ das Hamburger Label ‚fairliebt.‘ ausgesucht hat und es bei Wiebke und Mathias zwei witzige Shirts zum Buch gibt, und die sind ‚voll korrekt‘ – aus Bio-Baumwolle und sozialgerechter Produktion bei LamuLamu.
Bin mal gespannt ob ihr die Null Bock auf … Sprüche kapiert. Ich musste mir einmal helfen lassen. Doch schaut selbst rein bei http://www.fairliebt.com !

4 | Steph

März 9th, 2009 at 16:49

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Ich mußte das Wissensdefizit von Tobias Schlegl auf den Jahrestagungen des Nachhaltigkeitsrates ertragen. In dieses Gremium wurde er vermutlich nur gewählt, weil er jung ist und die Jugend auf das Thema aufmerksam machen soll. Aber ich glaube, dass man auch jungen Menschen Fakten zumuten kann/soll/muß und Sie nicht nur durch Werbung und Motivationssprüche bspw zum Klamottenkauf bewegen sollte.