26 Mrz, 2015

siegel(UN)klarheit.de

siegelklarheit

Von Anfang an habe ich es mit gemischten Gefühlen beobachtet, dass sich Entwicklungsminister Gerd Müller (CDU) dem Thema Ethik in der Textilindustrie angenommen hat. Die bereits zu Beginn anvisierte „Freiwillige Selbstverpflichtung“ erinnerte mich fatal an andere missglückte Deals mit der Industrie: CO2-Grenzwerte für die Automobilbranche, Frauenquote oder „nachhaltige Palmölproduktion“. Inzwischen fühle ich mich leider bestätigt. Dabei zweifele ich gar nicht an den guten Absichten des Ministers, im Gegenteil. Allein es mangelt am Verständnis der Modeindustrie und der bestehenden Initiativen für und gegen eine nachhaltigere Produktion. Und an einer wirklich kritischen Distanz zur Industrie.

Zunächst hatte der Minister ein neues Siegel angekündigt. Dazu wurden unter anderem einige Textilriesen an den runden Tisch gebeten. Meine Befürchtung: am Ende steht ein Siegel mit hoher, weil staatlich gestützter Glaubwürdigkeit, aber geringem Anspruch. Baumwoll-Zertifikate wie BCI und CmiA Baumwolle (nicht bio, nicht fair) oder eine BSCI-Mitgliedschaft (Business-Initiative ohne Stakeholder-Mitsprache und Sanktionen bei Verstößen) könnten genügen. Ein solches Siegel würde schnell nahezu jeder Artikel bei Discountern wie h&m, C&A und Co. tragen können und die wirklichen grünen Modemacher unter erheblichen Preisdruck setzen. Staatlich geprüftes Öko-Fair wird den meisten Konsumenten sicher reichen. So ein Siegel wäre nicht nur überflüssig, sondern schädlich für die Entwicklung nachhaltiger Textilproduktion. Aber es kommt nun erstmal nicht.

Dafür gibt es jetzt eine staatliche Siegel-Informationsplattform vom BMZ und der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit). siegelklarheit.de heißt sie, aber hält leider nicht, was der Namen verspricht. Die wenigen Klarheiten im Textil-Siegeldschungel werden hier eher beseitigt. Wie bei ähnlichen Informationsangeboten von Greenpeace, der Kampagne für saubere Kleidung (CCC) oder Get Changed! werden auf siegelklarheit.de die verbreitetsten Textil-Siegel verglichen. Doch wo die NGOs tolle Aufklärungsarbeit leisten und deutlich machen, welches Siegel in welchen Bereichen greift und in welchen nicht, versagt das Ministerium. Die zu wenig differenzierte Übersicht (siehe oben) lässt zwei Zertifikate mit geringem Anspruch ungerechtfertigt gut aussehen.

Zwar erhalten nur GOTS, Fairtrade, FairWearFoundation und Bluesign, sowie die im Textilbereich kaum zu findenden EU-Ecolabel und der Blauer Engel die Bestnote. Aber Cotton made in Africa (CmiA) und Better Cotton Initiative (BCI) sind hier immer noch insgesamt gut. Und gut ist für Konsumenten meist gut genug. „Erfüllt unsere Mindestanforderungen in den Bereichen Glaubwürdigkeit und Sozialverträglichkeit“ heißt es zusammenfassend. Dazu ein grüner Smiley mit freundlichem Lächeln, der auf den ersten Blick sogar freundlicher aussieht als sein dunkelgrüner Bestnoten-Kollege.
Nur wer die Detailseite aufruft und dort ganz nach unten scrollt erfährt, dass CmiA und BCI nur die Rohstoffproduktion abdecken. Auf diesen Mangel angesprochen antwortete mir die GIZ, man erfahre die Bereichseinschränkung gleich im ersten Satz der allgemeinen Siegelbeschreibung. Wer einmal diesem Link folgt, erkennt vielleicht, warum ich daran zweifele, dass dies von Besuchern der Seite so wahrgenommen wird.

Ein expliziter Hinweis auf fehlende Leistungen in den einzelnen Stufen der Textilen Kette fehlt auch auf den Detailseiten. Manchmal sind ein paar Checkboxen nicht abgehakt, aber zu fairen Löhnen oder Arbeitszeiten gibt es beispielsweise bei Rohstoff-Siegeln einfach keine. Wie CmiA und BCI trotz Absage an FairTrade-Prämien und ohne Begrenzung von Arbeitszeiten soziale Mindestanforderungen erfüllen können, wollte ich daher ebenfalls von der GIZ wissen.

Die GIZ verweist auf eine Viezahl von Beratern aus Wissenschaft, NGOs und von Standardorganisationen, die an der Erarbeitung der Bewertungskriterien beteiligt waren. Für „Sozialverträglichkeit“ gelten vor allem die Normen der ILO (Internationaler Dachverband der Gewerkschaften) und die seien bei BCI und CmiA ausreichend abgedeckt. Weil es bei der ILO für Feldarbeit keine konkrete Begrenzung der Arbeitszeit gibt, wird die hier eben auch einfach nicht verlangt. Über das Verbot von Kinderarbeit und Diskriminierung hinaus werden vorrangig nur Gesundheitsschutz und Sicherheit auf dem Feld geprüft. Keine Frage, Gesundheitsschutz im Baumwollanbau ist sehr wichtig. Es ist schon viel Wert, wenn garantiert ist, dass die Menschen dort nicht durch den Umgang mit Pestiziden schwer erkranken. Aber unter „sozial gut“ stellt sich Otto-Normalkonsument doch sicher etwas mehr vor als „nicht in tödlicher Gefahr“.

Gleich die Spitzennote bekommen die Anbausysteme im Bereich Glaubwürdigkeit. Und das obwohl es bei beiden keine wirklichen Sanktionen gibt. Wie bei diesen Siegeln eine „Unabhängigkeit der standardsetzenden Organisation und des zertifizierten Unternehmens“ gewährleistet wird, ist mir ebenfalls ein Rätsel. Sie wurden von zeichennehmenden Unternehmen und sehr unternehmensnahen Stiftungen (der WWF-Panda lässt grüßen) mitbegründet.

Die GIZ stellt übrigens nicht nur die Hälfte des Siegel-Bewertungsgremiums, sondern ist auch selbst eine Trägerorganisation von CmiA. Es mag Zufall sein, dass die Gewichtung der mit Hilfe von Beratern erarbeiteten Kriterien bei BCI und CmiA zu einem Ergebnis führt, das von dem der CCC, Greenpeace und GetChanged abweicht. Die Konstellation ist jedoch zumindest unglücklich.

Kein Zufall ist, dass grundsätzlich auf die Offenlegung von Mängeln und Lücken der Siegel verzichtet wurde. Die GIZ schrieb Grüne Mode dazu:

Insgesamt ist uns daran gelegen, mit dem Portal Anreize für stetige Verbesserung der Siegel und Standards zu geben. Ziel ist also nicht, bestimmte Systeme „abzustrafen“, sondern vielmehr durch eine transparente Darstellung Entscheidungshilfen und Vergleichsmöglichkeiten zu geben. Wir möchten Verbraucher damit in die Lage versetzen, entsprechend ihrer persönlichen Überzeugungen einzukaufen – und wichtige Signale in die Wertschöpfungskette zu senden.

Leider wird genau dieses Ziel komplett verfehlt. Grüne Smileys und die Note „Gut“ sind alles andere als ein Hinweis auf erhebliche Mängel in fast allen Produktionsstufen, bei zweifellos guten Ansätzen im Baumwollanbau. Transparenz heißt immer auch die Schwachstellen transparent zu machen und nicht nur die Stärken. Das hat mit Abstrafen nichts zu tun, sondern ist Vorraussetzung jeder informierten Entscheidung.

Verbesserungsvorschläge: Die Anderen machen es vor. Mindestanforderungen erfüllen heißt „Ansätze“, bekommt die Farbe gelb und einen Smiley mit geradem Strich. Dann ist auf einen Blick ersichtlich, dass das Siegel deutlich besser ist als nichts (rot und Mundwinkel nach unten), aber mehr eben auch nicht. In den Details wird oben grafisch gezeigt, auf welchen Bereich sich das Siegel bezieht und aufgelistet werden in einer Gegenüberstellung nicht nur die Leistungen, sondern auch die Lücken.

Ich bin immer auch für kleine Fortschritte, erst Recht, wenn sie auf einer solchen Breite erfolgen, wie das bei CmiA und BCI der Fall ist. Aber es sollte deutlich bleiben, dass es nur kleine Schritte sind, die eigentlich den Problemen nicht gerecht werden. Wer eine gute Übersicht über die verschiedenen Textilzertifikate und ihre Stärken und Schwächen sucht, der guckt daher besser hier, hier und hier. Und wer immer noch glaubt mit Herrn Müller sei die Textilindustrie zu revolutionieren, dem empfehle ich sein Interview bei „Pelzig hält sich“ (ab Minute 22 gehts los). Hut ab, Herr Barwasser, das war wieder mal ganz groß!

     
 Lars Wittenbrink   Lars Wittenbrink schrieb seine Masterarbeit über Nachhaltigkeitspotentiale der Outdoorbranche. Er führt mit Simone Pleus die gruene wiese in Münster - einen der größten grünen Concept-Stores in Deutschland mit angebundenem Onlineshop. Wandelndes Ökomode-Lexikon und Chefredakteur des Blogs.

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Veröffentlicht in: News

3 Kommentare auf "siegel(UN)klarheit.de"

1 | Sabine Lydia Müller

März 27th, 2015 at 13:38

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Lieber Lars, DANKE für diese top Beitrag!

2 | Robert Hertel

März 27th, 2015 at 16:05

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Hut ab Herr Wittenbrink!

Es freut mich sehr feststellen zu können, dass wir einmal gleicher Meinung sind.
Ausgezeichneter Artikel. Danke dafür.

3 | April: pinke & grüne Lieblingslinks | pink & green

April 12th, 2015 at 18:50

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[…] Einen sehr informativen Artikel  zu Siegel(un)klarheit gibt es außerdem von Lars von Grüne Mode, der an dem Benotungssystem bemängelt, dass es oft nur die Stärken und nicht die Schwächen der […]